Arbeitskreissitzung in Budapest (2.-3. Oktober 2015)

Budapest, 02.-03. Oktober 2015

Der Arbeitskreis Ungarn wurde auf der 49.GDM-Jahrestagung in Basel mit folgenden Zielen gegründet:

  • Verstärkung der Beziehungen und der Zusammenarbeit der Mathematikdidaktiker in Ungarn und in den deutschsprachigen Ländern
  • Veröffentlichung der erfolgreichen ungarischen mathematikdidaktischen Traditionen
  • Aufbauend auf die Erfahrungen auch anderer Länder, die Verbesserung des Mathematikunterrichts und der Situation der Mathematikdidaktik als selbständige Wissenschaft in Ungarn (einbezogen werden die Nachwuchsfrage und Doktorandenschulen)

Die 1. Tagung des Arbeitskreises fand am 02. und 03. Oktober 2015 an der Eötvös Loránd Universität in Budapest statt. Die Tagung wurde am Freitag um 14.00 Uhr von dem Direktor des Mathematischen Instituts, Herrn Prof. Dr. Tamás Szőnyi, eröffnet. Herr Prof. Dr. Szőnyi hat sich gerne an die GDM-Jahrestagung 2008 in Budapest erinnert, und wies in seiner Rede auf den fruchtbaren Effekt solcher internationalen Zusammenarbeit hin.

An der 1. Tagung des AK Ungarn nahmen 19 Kolleginnen und Kollegen aus Ungarn, Deutschland, Österreich und der Schweiz teil. So kam eine gelungene Mischung von Universitäts- und Schulangehörigen zustande, was eine gute Gelegenheit zum Erfahrungs- und Meinungsaustausch zwischen den TeilnehmerInnen bot.

Die Vorträge des Tagesprogrammes hatten folgende gekürzte Abstracts:

Freitag, den 02. Oktober

Bernd Zimmermann, Jena: Mathematikunterricht für normale und besonders begabte Schüler – Wie kann man das verbinden?

Ungarn hat bekanntermaßen eine lange Tradition in der Förderung mathematisch begabter Schüler. Einige ungarische Kollegen bedauern, dass ihrer Meinung nach in Ungarn dem Unterrichten durchschnittlich begabter Schüler zu wenig Gewicht beigemessen würde. Ich möchte einen Ansatz vorstellen, durch den es möglich sein könnte, beide Aspekte miteinander zu verbinden. So werde ich im ersten Teil meines Vortrages kurz die leitenden Ideen des Hamburger Modells zur Förderung mathematisch begabter Schüler vorstellen, das vorrangig von Professor Kießwetter begründet und geleitet wird. Anschließend werde ich ein Problem aus diesem Projekt vorstellen, das sich auch im Normalunterricht bewährt hat und anhand dieses Beispiels erläutern, welche Eigenschaften derartiger Probleme diese gleichermaßen für besonders begabte und  durchschnittlich begabte Schüler geeignet erscheinen lassen.

Johann Sjuts, Osnabrück: Formate zum Aufbau und Nachweis mathematikdidaktischer Kompetenzen

Der Lehrerberuf ist anspruchsvoll, bedeutungsvoll und verantwortungsvoll. Daher gilt: Für ein professionelles Unterrichtshandeln sind berufsfeldbezogene Kompetenzen in einer systematisch angelegten Lehrerausbildung vorgängig zu erwerben. Zu ihnen zählen in besonderem Maße fachdidaktische Kompetenzen – selbstverständlich auch im Fach Mathematik. Fachbezogene Lehr-Lern-Prozesse nach wissenschaftlichen Erkenntnissen zu planen, zu gestalten, durchzuführen und auszuwerten, ist ein essentieller beruflicher Anspruch.

Michael Gaidoschik, Klagenfurt: Einmaleinslernen ohne Reihen – ein Unterrichtsversuch

Die meisten Erwachsenen – auch solche, die heute das Einmaleins unterrichten – haben es einst „Reihe für Reihe“ auswendig gelernt. Die Fachdidaktik rät demgegenüber seit langem, intensiv an Ableitungsstrategien zu arbeiten, d.h. von wenigen sogenannten „Kernaufgaben“ ausgehend alle anderen Einmaleinsaufgaben rechnerisch zu erschließen. Wie aber lässt sich dieser allgemeine Rat konkret im Unterricht umsetzen? Eine Variante sind „kurze Reihen“, in denen das Ableiten jeweils innerhalb einer Reihe thematisiert wird. Ich halte das für inkonsequent – und vermute, dass die Lernchancen steigen, wenn wir in den ersten Monaten der Einmaleinsarbeit auf das Gerüst der Reihen gänzlich verzichten. Ein entsprechendes Unterrichtskonzept habe ich 2014 in Buchform vorgelegt; im Vortrag stelle ich es kurz vor, versuche es zu begründen – und liefere erste Ergebnisse eines Versuches, es in zehn Kärntner Grundschulklassen in die Praxis umzusetzen.

Gergely Wintsche, Budapest: The fundamental principles and the feedbacks of the new textbooks 

I plan to give a summary about the development of the new textbooks in Hungary with special focus on the mathematics textbooks. I show how we applied theoretical principles and turned them into practice when creating the new textbooks. I bring examples of good practices for text based problems to improve literacy competency. The first feedbacks from teachers confirm that we are on the right path and we shall improve by including more ready to use problems.

Katalin Fried, Budapest: Solving elementary mathematical problems – with didactical background

Solving problems plays an important role in teaching mathematics. We have to select the problems very carefully to achieve the aims we would like to. Not only the problems but the order we pose them has an effect on what and how the pupils percept knowledge they have and acquire new knowledge. In the presentation we are going to examine some problems and their solutions on different levels with methodological background.

Csaba Csapodi, Budapest: Evaluation of the final exams in mathematics in the last 10 years and presenting the changes from 2017

Since 2005 (when the new system of secondary school graduation was set up) there was no general analysis of the final exams in mathematics. In the last two years several researches (supervised by the Educational Authority in Hungary) aimed to recover this deficiency. In the first part of my presentation I will show the most important findings of these researches. In the second part I will present the changes and their reasons concerning the specifications and the curriculum of the final exams in mathematics. The changes were effected partly by the researches mentioned above, partly by the changes occured in the National Curriculum of mathematics.

 

Balázs Koren, Budapest: Smartphones und der Mathematikunterricht

In 2015 sitzen die meisten Schüler in der Schulbank mit ihren Smartphones oder Tablets. Diese Telefone sind nicht mehr die Geräte, die nur telefonieren und SMS schreiben können. Diese „gadgets“ sind im Unterricht verwendbar. Wie können wir die Smartphones im Mathematikunterricht benutzen? Es gibt eine enorme Auswahl von Applikationen, aber leider nur eine kleine Minderheit davon ist in der Schule oder zu Hause benutzbar.

Samstag, den 03. Oktober

Susanne Schnepel, Zürich: Ein Konzept für den inklusiven Mathematikunterricht unter Berücksichtigung der Förderung von Kindern mit einer geistigen Behinderung

Vorgestellt wird ein Konzept für den Mathematikunterricht in inklusiven Klassen (2. und 3. Schuljahr), in denen Kinder mit einer geistigen Behinderung unterrichtet werden. Dieses wurde in der Schweizer Unterrichtsstudie „SirIus: Soutenir l’integration – Integration unterstützen“ entwickelt. Im Vortrag werden der Forschungsstand zum Mathematiklernen von Kindern mit geistiger Behinderung und ein Modell zur Zahlbegriffsentwicklung präsentiert. Davon ausgehend wird ein Konzept für die mathematische Förderung von Kindern mit einer geistigen Behinderung im inklusiven Mathematikunterricht vorgestellt. Dieses beinhaltet Vorschläge für gemeinsame Lernsituationen an einem Thema mit allen Schülerinnen und Schülern sowie Differenzierungsmaßnahmen für sehr unterschiedliche Lernniveaus. Abschließend wird ein Einblick in die Unterlagen für die Lehrkräfte und die Materialien für die Kinder geboten.

Emese Vargyas, Mainz: Entdeckendes Lernen am Beispiel von Wurzel 3

Im Vortrag werden drei Beweise mittels Wechselwegnahme für die Irrationalität von Wurzel 3 präsentiert, anhand derer eine Brücke zwischen Algebra und Geometrie geschlagen wird. Anschließend wird − analog zur Verdoppelung eines Quadrates − auf die Verdreifachung bestimmter geometrischer Figuren eingegangen.

Zsuzsa Somfai, Budapest: Didaktik oder/und Psychologie

Manchmal kommt es vor, dass die Studierenden nicht gerne lernen oder eigentlich nicht lernen wollen. Besonders langweilig für sie ist, das Üben wichtiger algorithmischer Aufgaben. Ich möchte mit einer Reihe von Übungen zeigen, wie man solche Studierende motivieren kann, sowie Möglichkeiten für eine Binnendifferenzierung vorstellen.

Éva Vásárhelyi, Budapest: Lehrerbildung in Ungarn

Man kann über die laufende Umstrukturierung des Bildungssystems mindestens so viele Beschwerden wie Zufriedenheit hören. Die Lehrerbildung gehört zu den wenigen Gewinnern. Wir berichten über unsere Absichten und positive Phänomene.

Ervin Deák, Budapest: Information über unkonventionelle Richtungen in der geplanten mathematikdidaktischen PhD-Ausbildung an der Universität ELTE und über den Hintergrund in der Lehrerausbildung

Es handelt sich um einen neuartigen mathematikhistorischen Kurs (als Pflichtfach, zwei Semester), der aufgrund unkonventioneller Prinzipien − über die Rolle der Mathematikgeschichte (im Mathematik-unterricht, in der mathematikdidaktischen Forschung, in der Mathematiklehrerausbildung), über die genetische Richtung im Unterricht, über die mögliche Rolle fundamentaler Ideen − konzipiert ist. Einige dieser Prinzipien werden kurz erklärt. An diesen Kurs schließen sich mehrere (frei wählbare) Kurse über die Umsetzung dieser Prinzipien und dieser Erkenntnisse im Mathematikunterricht an. Als Vorbild dienen Kurse, die ich an der Universität ELTE seit langem regelmäßig abhalte: Die mathematikdidaktischen Kurse mit solchen verschiedenen Einzelthemen seit 26 Jahren und der mathematikhistorische Kurs (als Pflichtfach in der Master-Ausbildung der Lehrerstudenten) seit 8 Jahren.

Gabriella Ambrus, Budapest: Komplex Mathematikunterricht im 21. Jahrhundert?

 

Vor mehr als fünfzig Jahren begann der „Komplex Mathematikunterricht” Versuch von Tamás Varga, der in 1978 zu der Einführung eines völlig neuen Lehrplanes für Mathematik in den Klassen 1-8 führte. Obwohl der Mathematikunterricht seitdem durch die Ideen von T. Varga und seiner Mitarbeiter stark geprägt ist, wurde die Methode für die weiteren Klassen (9-12) nur teilweise adaptiert. Das Ziel unseres Projektes ist – am Beispiel des Unterrichtes der Kombinatorik – die Analyse und Aufarbeitung von früheren Ergebnissen mit der Ergänzung von neuen relevanten Konzeptionen. Außerdem wird die Methode von T. Varga auf die Klassen 9-12 ausgedehnt. Im Vortrag wird über unsere Arbeit und die Ergebnisse kurz berichtet.

Nach den einzelnen Vorträgen gab es die Möglichkeit, die Themen weiter zu diskutieren.

Im Anschluss an die Vorträge fand eine Sitzung zum Thema „Administratives und Organisatorisches“ statt. Frau Gabriella Ambrus (ELTE Budapest) wurde dabei als Sprecherin des Arbeitskreises gewählt.

Zu den ursprünglichen Zielsetzungen des Arbeitskreises wurden noch folgende Vorschläge gemacht:

  • Förderung der Internationalität und Interkulturalität
  • Vergleich von vergangenen Entwicklungen und Tendenzen im Bildungswesen der verschiedenen Länder (Matura, Abitur). Was kann man daraus lernen beziehungsweise übernehmen?
  • Verstärkung der Beziehungen und der wechselseitigen Zusammenarbeit in der Lehrerausbildung
  • Stärkere Beachtung des Grundschulbereichs
  • Einbeziehen von Kollegen aus ganz Ungarn (nicht nur aus Budapest) in die Zusammenarbeit
  • Empfehlungen zu weiteren Publikationsmöglichkeiten sind willkommen

Es ist geplant, eine Homepage des Arbeitskreises (durch Balázs Koren) zu gestalten, einen Tagungsband mit den Vorträgen der ersten Tagung herauszugeben sowie einen kurzen Bericht der Tagung vom 02.-03. Oktober 2015 an die Ungarische Akademie der Wissenschaften zu senden.

Die Teilnehmer hatten am Freitagabend ein gemeinsames Abendessen in einem Restaurant am Donauufer, in der Nähe der Universität. Am Samstagnachmittag konnten einige Kollegen dank des schönen Wetters kleinere Ausflüge in der Gegend machen.

Die nächste Sitzung findet im März 2016 bei der GDM-Jahrestagung in Heidelberg statt. Hier wird näher auf die Ziele und Tätigkeiten des Arbeitskreises Ungarn wieder eingegangen.

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