Gründung des Arbeitskreises in Basel an der Jahrestagung der GDM in 2015.

Gabriella  AMBRUS, Ödön VANCSÓ,  Budapest

Arbeitskreis Ungarn

Der neue Arbeitskreis wurde an der Jahrestagung in Basel mit den folgenden Zielen gegründet: Beiträge schaffen

  • zur Veröffentlichung der erfolgreichen ungarischen mathematikdidaktischen Traditionen;
  • zur Verbesserung des Mathematikunterrichts in Ungarn;
  • zur Verbesserung der Situation der Mathematikdidaktik als selb-ständige Wissenschaft in Ungarn (einbezogen die Nachwuchsfrage und PhD-Schulen);
  • zur Verstärkung von Beziehungen unter Didaktikern in Ungarn und in den deutschsprachigen Ländern.
  • zu gemeinsamen Forschungen und Publikationen.

Die erste (Gründungs-)Sitzung wurde von Ödön Vancsó eröffnet, dann hat Gabriella Ambrus einen Vortrag über Einige deutsch–ungarische „historische” Beziehungen in der Mathematikdidaktik gehalten. Danach hat Ödön Vancsó mit Hilfe eines Beispiels einige Überlegungen über die heutigen Möglichkeiten und Ziele der ungarischen Mathematikdidaktik angestellt und die ungarische Zeitschrift Teaching Mathematics and Computer Science vorgestellt. In der Folge wurde über die Ziele diskutiert.

Gabriella Ambrus: Einige deutsch–ungarische „historische” Beziehungen in der Mathematikdidaktik

Die ungarisch-deutschen Beziehungen im Unterricht der Mathematik füh-ren langen in die Geschichte zurück. Es kann z.B. erwähnt werden,  dass  in 1577, unter deutschem Einfluss das erste ungarische Buch über Arithmetik (Verfasser unbekannt) in Debrecen erschien: „Debreceni Aritmetika” (Hárs, 1936).

Für den Vortrag wurden einige solche wichtige Momente aus der Geschichte des ungarischen Mathematikunterrichts durch Persönlichkeiten vor­gestellt, bei denen die erwähnten Beziehungen besonders bedeutend waren.

Farkas Bolyai (1775-1856) war Lehrer/Professor für Mathematik, Physik und Chemie in Marosvásárhely (heute Rumänien). Sein Sohn János Bolyai lernte Mathematik lange bei seinem Vater. Der Vater hat zwischen 1796-99 in Göttingen, bei Gauss mehrere Jahren verbracht; diese Beziehung blieb fortdauernd erhalten und hat − wie bekannt − auch im Leben seines Sohnes János eine wichtige Rolle gespielt.

Gyula Kőnig (1849-1913), namhafter Mathematiker hat seinen ersten ma-thematischen Beitrag unter der Leitung von Leo Königsberger in Heidel-berg (1871) geleistet, und die Vorlesungen von Königsberger hatten Kőnig tief beeinflusst. Er war seit 1904 Leiter des Verlags Franklin in Budapest, und hier erschien sein Mathematiklehrbuch, das später von Manó (Emanu-el)  Beke überarbeitet wurde.

Manó (Emanuel) Beke (1862-1946) (ein Schüler von Gyula König) war Lehrer für Physik und Mathematik, seit 1900 auch Universitätsprofessor. Er hatte eine umfassende Tätigkeit im (mathematischen) Unterricht an fast allen Schulstufen und Schultypen. Im 1884 wurde er (zusammen mit Ernő Fináczy, Universitätsprofessor) beauftragt, für das Parlament einen Bericht über die Lage der ungarischen Mittelschulen abzufassen.

In seinem Leben war die Studienreise nach Deutschland (1892-93) ent-scheidend. Er hat in Göttingen bei Felix Klein die Theorien der Reformen des Mathematikunterrichtes kennengelernt und wurde ein anerkannter Ver-treter der Reformen. F. Klein hat ihn dann veranlasst in 1914  einen Vor-trag über die Wichtigkeit der Einführung in die Differential- und Integral-rechnung in den Mittelschulen zu halten, (Kántor, 2014, Schubring, 2014). Beke’s Buch, über die Reformen des mathematischen Unterrichtes in den Mittelschulen ist auch auf Deutsch erreichbar, (Beke/Mikola, 1911), er hat aber auch weitere deutsche Publikationen geschrieben (vgl. Literatur).

Der Name von György Pólya (1887-1985) ist sehr bekannt, aber gewiss  weniger bekannt ist, dass er in einem namhaften Budapester Gymnasium (Markó u.) ein Schüler von Beke und später auch ein Student von Lipót Fejér und Loránd Eötvös war. Zwischen 1910-1914 studierte er in Wien und auch in Göttingen bei F. Klein.

Pólya hat eine reichhaltige mathematische Tätigkeit − besonders in der Wahrscheinlichkeitsrechnung, in der Kombinatorik und in der Graphen-theorie − ausgeübt. In seinem Buch „How to solve it(Schule des Denkens) (Übersetzung ins Ungarischen von Imre Lakatos) hat er die Grundgedanken der heuristischen Methode für den Unterricht zusammengefasst. Auch andere Bücher von ihm wurden ins Deutsche übersetzt, z.B. sein bekanntes Buch mit Gábor Szegő: Aufgaben und Lehrsätze aus der Analysis, Springer, Berlin, 1925.

Tamás Varga (1919-1987) studierte Mathematik und Physik für das Lehr-amt an der Eötvös Loránd Universität in Budapest, und seit 1951 arbeitete er auch dort, nachdem er früher in verschiedenen Mittelschulen unterrichtet hat. Varga war sehr engagiert für den mathematischen Unterricht in Ungarn und hatte schon ab Ende der fünfziger Jahre die „New Math” Bewegung kritisch betrachtet. (Er nannte später seine Position als „post-New Math”.) Diese beiden Überzeugungen haben seine mathematikdidaktische Tätigkeit bestimmt. Varga hat seine bekannte Untersuchung Komplexer Unterrichtsversuch in Mathematik in 1964 begonnen, u. Zw. zuerst mit dem Mathematikunterricht in der Grundschule. Nach langjähriger enger Zusammenarbeit mit anderen Didaktikern und Lehrer/innen kam es endlich in 1978 auch zu einem völlig neuen Lehrplan in Mathematik für die Klassen 1−8.

Seine Sprachkenntnisse ermöglichten ihm auch viele wissenschaftliche Kontakte in der Welt, darunter auch in Deutschland. Er hat unter anderem mit A. Engel, W. Walser Artikel und auch weitere didaktische Publikationen auf Deutsch geschrieben.

At the proposal of Hans Freudenthal, the worksheets prepared by a special team for experimental classes in primary schools (‚Munkalapok‘) were used in IOWO as working materials. Isaak Wirchup (University of Chicago) had them translated into English and their latest version is now taught in Finland too (Szendrei, 2007).

http://www.espoonmatikkamaa.fi/index.php?option=com_content&view=article&id=24&Itemid=37

Über die Tätigkeit von Varga hat Julianna Szendrei (2007), eine Mitarbeiterin von ihm, folgendes geschrieben:

Tamás Varga was an outstanding figure of international renown in the history of teaching mathematics. He was member of the Editorial Board of Educational Studies in Mathematics and he was elected Vice Chair of CIEAEM.

Heutige Möglichkeiten und Ziele der ungarischen Mathematikdidaktik

Die Tatsache, dass in 2014 der Mathematiker László Lovász zum Vorstand der Akademie der Wissenschaften in Ungarn gewählt wurde, gab einen Anstoß  zu einem neuen Aufblühen der Didaktik der Mathematik in Ungarn. Ein erster Schritt dazu kann ein kurzfristiges Projekt sein. Ödön Vancsó, der Leiter dieses Projekts hat unter anderem auch darüber gesprochen. Es sind daran von  der Universität ELTE Gabriella Ambrus und Judit Szitányi und von den Universitäten in Szeged und Kaposvár auch noch weitere Kollegen beteiligt. Das Hauptziel des Projekts ist die eigenständige Tätigkeit von T. Varga in den 60er, 70er Jahren in Ungarn – zu analysieren und aufzuarbeiten. Weitere wichtige Ziele des Projektes sind:

Das Einbauen der neuesten Ergebnisse der kognitiven Wissenschaf-ten in den Unterricht;  

         Berücksichtigung der Informationsrevolution und der neuen Medien im Unterricht.

         Ausdehnung der Methoden von Varga auf die Sekundarstufe II, denn diese Entwicklung wurde − trotz der ersten positiven Schritte noch im Leben von Varga (vor allem auf dem Gebiet der Wahrscheinlich-keitsrechnung (s. die Arbeiten von T. Nemetz und K. Bognár) − unterbro-chen. Wegen der kurzen Zeitspanne konzentriert sich die Forschung des Projektes auf  den Unterricht der Kombinatorik (aber auf die ganze Schulzeit vom Kindergarten bis zum Abitur bezogen). In der Fortsetzung des Projektes planen wir auch die übrigen Gebiete der Schulmathematik ähnlicherweise, im Sinne von T. Varga zu bearbeiten.

TMCS (Teaching Mathematics and Computer Science) ist eine referierte mathematikdidaktische Zeitschrift in Ungarn, mit Publikationen auf Englisch, Deutsch und Französisch. Die Mitglieder des Arbeitskreises (und nicht nur sie) sind eingeladen zum Lesen und auch zum Veröffentlichen in der Zeitschrift.

Diskussion der Ziele, Wahl der Sprecher

Die Anwesenden sind mit den Zielen des Arbeitskreises einverstanden und haben noch einige weitere mögliche Ziele hinzugefügt, so zum Beispiel das Vergleichen der verschiedenen Lehrerausbildungssysteme.

Die zweite Arbeitskreissitzung in Budapest ist für Ende September vorgesehen; über die genaueren Informationen werden noch E-Mails gewechselt.

Literatur

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