Arbeitskreis Ungarn, Budapest, 07. – 08.10.2016

Die zweite Herbsttagung des AK Ungarn fand vom 07. bis 08. Oktober an der ELTE Universität in Budapest mit 19 Teilnehmern aus Ungarn, Deutschland, der Schweiz und der Slovakei statt. Schwerpunkt der diesjährigen Tagung war Problemlösen. Das Programm umfasste ein breites Spektrum an Vorträgen aus dem Bereich der Grundschuldidaktik bis hin zur gymnasialen Lehrerausbildung sowie einen Vortrag über einen Doktorandenkurs an der ELTE Universität in Budapest. Das Vortragsprogramm bestand – der Reihe nach  – aus folgenden Beiträgen:

Sjuts, Johann (Osnabrück): „Metakognition beim Lösen mathematischer Probleme“

Beim Bearbeiten von Aufgaben und beim Lösen von Problemen in Mathematik ist Metakognition von hoher Bedeutung. Geschieht die Selbststeuerung bewusst? Wird die Selbstüberwachung explizit? Die Verschriftlichung des eigenen Denkens gilt dazu als probate Methode. Der Vortrag widmet sich der Frage, inwieweit die Darstellungen einen Einblick in die Stufen des Problemverstehens, der Strategieentwicklung, der Ausführung und der Rückschau ermöglichen.

Vancsó, Ödön (Budapest): „Unterschiedliche Wurzel des Wahrscheinlichkeitsbegriffs komplex behandelt“

Im Vortrag werden mittels eines medizinischen Beispiels (Viren-Test) die drei verschiedenen begrifflichen Wurzeln der Wahrscheinlichkeit (statistischer, klassischer und subjektiver Zugang) aufgezeigt. Die didaktische Analyse der Situation dient der Erklärung  der verschiedenen Wahrscheinlichkeitsbegriffe und ihrer Beziehungen zueinander.

Vargyas, Emese (Mainz): „Heuristik im Mathematikunterricht“

Pólya spricht im Zusammenhang mit dem Lösen von Aufgaben von einer „praktischen Kunst“, vergleichbar dem Schwimmen, die sich „nur durch Nachahmung und Übung erlernen“ lässt. In diesem Sinne stellt der Vortrag anhand einer Aufgabe aus dem Bereich der Schulmathematik die vier Stadien des Problemlösens nach Pólya dar. Die dabei vorgestellten Heurismen sollen die Problemlösekompetenz der Schüler und Schülerinnen fördern.

Herendiné-Kónya, Eszter (Debrecen) – Kovács, Zoltán (Debrecen/Nyíregyháza): „Can teacher trainees use inductive arguments?”

The Hungarian curriculum for mathematics teachers’ training (2013) specializes a Problem Solving Seminar aims to teach heuristic strategies. This fact motivated our research focusing on problem solving competency of teacher trainees. In the preliminary phase some nodes of research crystallized, such as students’ inductive reasoning abilities, proving facilities, relationship between problem solving and problem posing, and impact of ICT tools. In this talk we deal with some aspects of inductive reasoning.

We summarize the results of a diagnostic survey. We choose a problem which could be solved through inductive reasoning, and analyzed problem solving process of 93 students. Our primary interest was how students apply general phases of inductive reasoning, if they use it at all; that is how they conclude general statements after pattern recognition, and whether they closure it deductively or not. We investigated bias and errors appeared in this process also.

Csapodi, Csaba (Budapest) – Filler, Andreas (Berlin): “How much knowledge students need for the high school final exams in mathematics? A comparison between Hungary and Germany”

The aim of this study is to compare the final exams in mathematics in Hungary and Germany (exemplified by the federal state Berlin). Both the high school curricula and the examination systems in these two countries vary considerably. Therefore we have to consider not only the “level” of mathematical knowledge which is needed to pass the exams but also the wideness of knowledge and skills which students need and the “predictability” of the examination tasks.

We take these influencing factors into account by analyzing Hungarian and German examination assignments during the last five years especially in the fields of non-linear equations, functions and analysis. As a result we can identify significant differences in the conceptions of teaching mathematics and in the expectations towards the students.

Fried, Katalin (Budapest) – Korándi, József (Budapest): “Some experiences according the problem solving course”

Besides technical skills, problem solving requires thinking skills as well, which (just like technical skills) one has to acquire. We are going to introduce three situations, when this might happen.

  1. Just because the solution cannot be improved, it does not mean that we have reached the best possible solution.
  2. Similar problems, different ways of solving them.
  3. Different problems, similar ways for solving them.

Schnepel, Susanne (Zürich): „Wer unterrichtet inklusiv in Mathematik?“

In der Schweizer Unterrichtsstudie „Soutenir l’integration – Integration unterstützen“, in der ein Konzept zum inklusiven Mathematikunterricht erprobt wurde, haben die SonderpädagogInnen angegeben, ob ihnen die Verknüpfung der sonderpädagogischen Förderung mit dem Klassenunterricht gelingt. Untersucht wurde, welche Bedingungen oder Variablen dazu führen, dass der Unterricht als inklusiv eingeschätzt wird. Es zeigte sich, dass SonderpädagogInnen mit hohem fach- und fachdidaktischen Wissen ihren Unterricht eher als inklusiv beschreiben. Keinen signifikanten Einfluss haben hingegen die Leistungen der integrierten Schülerinnen und Schüler, die Stundenzahl, die die SonderpädagogInnen im Mathematikunterricht anwesend sind oder die Einstellung der Klassenlehrperson zur Integration von Lernenden mit intellektueller Beeinträchtigung.

Diese Ergebnisse stimmen nicht ganz mit den Ergebnissen von Pool Maag & Moser Opitz (2014) überein, die in einer explorativen Studie festgestellt haben, dass inklusiver Unterricht schwieriger zu realisieren ist, wenn der Leistungsrückstand der integrierten Kinder besonders gross ist. Wenn die Sonderpädagoginnen viele Stunden (10 bis 15 Stunden pro Woche) in der Klasse sind, wird enger mit der Klassenlehrperson zusammengearbeitet und eher inklusiv unterrichtet.

Stehen der Sonderpädagogin nur wenige Stunden zur Verfügung, werden Kinder mit intellektueller Beeinträchtigung meistens in einem anderen Raum einzeln oder in einer Kleingruppe unterrichtet und es findet kaum inklusiver Unterricht statt. Ausserdem lässt sich vermuten, dass die Einstellung der Klassenlehrperson eine Rolle spielt. Ist sie der Inklusion gegenüber positiv eingestellt, wird sie eher versuchen, alle Kinder in ihren Unterricht einzubeziehen, als wenn sie der Inklusion gegenüber negativ eingestellt ist.

Karpinski-Siebold, Nadja (Halle) – Fritzlar, Torsten (Halle): „Zum Umgang mit Unbekannten in Sachsituationen – eine Interviewstudie“

Das Umgehen mit Unbekannten ist eine Komponente algebraischen Denkens, die zumindest für jüngere Schülerinnen und Schüler sehr anspruchsvoll ist. Die Auseinandersetzung mit mathematischen Problemstellungen zu unbekannten Anzahlen kann daher als eine Schnittstelle von Problemlösen und algebraischem Denken angesehen werden.

Im Vortrag wird eine Studie vorgestellt, mit der erkundet werden soll, wie Schülerinnen und Schüler der vierten und fünften Jahrgangsstufe derartige Problemstellungen bearbeiten: Welche Repräsentationen werden genutzt? Welche Strategien lassen sich erkennen? …

Gunčaga, Ján (Ružomberok): „Einige historische mathematische Lehrbücher als die Quelle der Motivation im Mathematikunterricht“

Didaktik der Mathematik ist ein spezifischer Wissenschafts- und Untersuchungsbereich, der sich mit gegebenen und aktuellen Fragen des Mathematikunterrichts, mit dem Verstehen, dem Definieren und Charakterisieren mathematischer Begriffe im Unterricht beschäftigt. Historische Lehrbücher bieten viele interessante Materialien für verstehensorientiertes Lernen. Man kann darin schöne lokale und universale Modelle für den Aufbau mathematischer Begriffe finden, die aus der Umgebung der Schüler und ihrer Eltern entstanden sind. In diesem Beitrag werden einige Beispiele dafür vorgestellt.

Kulman, Katalin (Budapest): „Problemlösung in der Grundschule: eine Aufgabe – vielerlei Probleme“

Wie kann man die Mathematikstunde mit einer einzigen Aufgabe bunt und komplex gestalten? Wie könnte das Spielerische dabei hervorgehoben werden? In diesem Vortrag können die Zuhörer sich ein Bild davon machen, wie man mit der Anwendung verschiedener mathematischer Themen in einer Aufgabe das Interesse von Kleinkindern für die Mathematik erwecken kann. Mit einer Aufgabe und den dazugehörenden verschiedenen Problemen samt Lösungen können die LehrerInnen sowohl die früheren Kenntnisse auffrischen, als auch die in der Zukunft zu erlernenden Kenntnisse begründen.

Deák, Ervin (Budapest): „Über eine konkrete Realisierung einer Modifizierung der Toeplitzschen „direkt-genetischen Methode” auf dem Gebiet der Differentialrechnung“

  1. Der Tangentenbegriff gehört zu den am meisten vernachlässigten Themen im Mathematikunterricht. Der begriffliche Wirrwarr wurzelt in der griechischen Mathematik. In den Elementen Euklids taucht im elementargeometrischen Kontext der Kreistangente immerhin ein Archetyp der Idee der Besten Linea­ren Approximation auf, der sehr wohl zu einem der Ausgangspunkte einer längeren, didaktisch aber auch mathematisch anspruchsvollen Propädeutik der Differentialrechnung gemacht werden kann.
  2. Ein anderer Grundgedanke hat ebenfalls einen geschichtlichen Hintergrund; es handelt sich um ein Ele­ment der Konzeption Lagranges zur „Algebraisierung der Analysis”. (Durch Anwendung auf Polynome anstelle von Potenzreihen wird es weitgehend elementarisiert und als Leitgedanke der Differentialrech­nung im Bereich der Polynomfunktionen − aber auch als Zwischenstation auf dem Weg des Konvergenz­denkens im Allgemeinen − verwertet.)
  3. Diese und einige weitere Prinzipien sind die Grundpfeiler jener sehr unkonventionellen Einführung in die Differentialrechnung, die im zweiten Semester als Doktorandenkurs realisiert werden soll. Es handelt sich eigentlich um eine Verwirklichung der Toeplitzschen Idee „indirekt-genetischer Mathematikunter­richt” an einem konkreten Gegenstand, wobei dieser Idee selbst − die ja von O. Toeplitz nur etwas ver­schwommen beschrieben wurde − ein fest umrissener, zum Teil ungewöhnlich neuer Inhalt verliehen wird. (Dieses abgeänderte Grundprinzip soll in einigen weiteren Kursen auch auf andere Themen zuge­schnitten realisiert werden.)

Horváth, Ferenc (Budapest): „ Qualifizierung der Lehrkräfte in Ungarn“

LLL Lebenslanges Lernen auch in Ungarn? Was hat sich mit dem eben eingeführten „Lebensbahnmodell“ geändert? Lehren die Pädagogen in Ungarn besser als bevor? Wie kann man die Pädagogen motivieren? Werden die Pädagogen besser nach der Qualifizierung? Ist sie unbedingt nützlich und nötig? Wie ändert sich Qualifizierung? Auf solche Fragen versucht der Vortrag Antworten zu finden. Seit 2015 arbeitet der Vortragende als Qualifizierer in Ungarn, er hat schon mehrere Qualifizierungen miterlebt. Seine Erfahrungen und Gedanken teilt er in seinem Vortrag mit den Zuhörern.

 

 

Am Freitagabend hatten wir ein gemeinsames Abendessen in einem Schiffsrestaurant auf der Donau, und ein weiterer Tagungsordnungspunkt war die am Samstag stattfindende Sitzung des Arbeitskreises.

Dabei wurde Frau Gabriella Ambrus als erste Sprecherin des Arbeitskreises wiedergewählt. Frau Ambrus präsentierte auf der Sitzung einen kurzen Rückblick über die bisherigen Aktivitäten. Mit Freude hat sie das Erscheinen des Tagungsbandes 2015 verkündet. Ein herzlicher Dank geht dabei an Frau Éva Vásárhelyi, die die Herausgabe koordiniert hat und die Koordinationsarbeit auch für den Tagungsband 2016 übernimmt. Zukünftig sollen die Beiträge nicht nur als Band, sondern auch einzeln zur Verfügung stehen. Eine erfreuliche Nachricht war auch die Erweiterung des Arbeitskreises durch weitere Teilnehmer aus Ungarn und der Slowakei. Auf der GDM-Jahrestagung 2017 in Potsdam ist ein neues Treffen geplant. Die nächste Herbsttagung wird voraussichtlich Ende August/Anfang September 2017 stattfinden, da die nächste ProMath-Tagung auch um diese Zeit in Ungarn stattfinden wird, und eine gemeinsame Tagung mit ProMath geplant ist. Einzelheiten dazu werden noch bekannt gegeben.

Im Rückblick kann man sagen, dass es eine sehr bereichernde und gelungene Tagung war, deswegen vielen Dank an die Organisatoren!

Die Erweiterung des Arbeitskreises bleibt auch zukünftig ein Ziel, deswegen sind alle Interessierten als weitere Mitglieder herzlich willkommen. Weitere Informationen zum Arbeitskreis können im Internet unter der Adresse http://gdm.elte.hu  abgerufen werden.

Emese Vargyas, Mainz

 

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