Arbeitskreis „Mathematiklehren und -lernen in Ungarn“

5. Herbsttagung

Gabriella Ambrus, Johann Sjuts

Budapest, 20.-21. September 2019

Am 20. und 21. September 2019 fand an der Eötvös Loránd Universität in Budapest das 5. Herbsttreffen des GDM-Arbeitskreises „Mathematiklehren und -lernen in Ungarn” statt. Anwesend waren zwölf Personen. Die Veranstaltung war zugleich eine Satellitentagung zur internationalen Konferenz „Varga 100“. Tamás Varga (1919-1987) zählt zu den herausragenden ungarischen Persönlichkeiten in Mathematik und Mathematikdidaktik. Sein bis heute spürbares Wirken hatte einen grundlegenden Einfluss auf den ungarischen Mathematikunterricht. Der besonderen Erinnerung an ihn und seine Konzeption „Komplexer Mathematikunterricht“ dient die erwähnte Hauptveranstaltung mit dem Ziel „Connecting Tamás Varga’s Legacy and Current Research in Mathematics Education“ an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in Budapest vom 6. bis zum 8. November 2019.

Die ungarische Hauptstadt bot für Tagung und Rahmenprogramm wieder allerbeste Bedingungen. Es waren, wie den Rückmeldungen zu entnehmen ist, erneut anregende und atmosphärisch sehr angenehme Tage.

Im Mittelpunkt der Arbeitskreis-Tagung standen acht Vorträge. Titel und Zusammenfassungen sind nachstehend aufgeführt.

András Ambrus, Budapest: Ein effektives Lernmodell und gewisse Folgerungen für den Mathematikunterricht

Nach einem kurzen Überblick der in der Mathematikdidaktik relevanten psychologischen Theorien – Piaget, Vigotszkij, Bruner, Dienes, Skemp – werden wir das Hattie-Donoghue- Lernmodell ausführlich diskutieren, insbesondere die Input- und Output-Faktoren: Skills (Fertigkeiten, Vorwissen), Willen (emotionale, kognitive, strategische, soziale Dispositionen), Aktivierung (Motivation) sowie die Phasen des Lernprozesses: Oberflächenlernen (surface learning), vertieftes Lernen (Relationen, Vergleichen, Verallgemeinern), Transferlernen. Die zweite und dritte Phase gehören zum problemlösenden Unterricht. Zwei direkte Folgerungen des Modells für den Mathematikunterricht: 1. Die erste Phase, der Aufbau des Vorwissens ist grundlegend, die Schüler müssen konkrete Wissenselemente in ihrem Gedächtnis haben, um diese Elemente zu vergleichen, zu vertiefen, zu verallgemeinern und beim Problemlösen zu benutzen. Das Problemlösen kommt nach dieser Phase. 2. Nach Hattie ist die erste Phase mittels direkter Lehrerleitung viel effektiver als mittels problembasierter Unterrichtsmethode.

Gabriella Ambrus, Budapest: Untersuchung von Schülerlösungen mit Hilfe von Lösungs- niveaus bei Textaufgaben mit realem Inhalt

Bei unseren einfachen Aufgaben ist die Formulierung zwar ähnlich zu den bekannten Textaufgaben, es ist jedoch zu beachten, dass bei der Lösung die Untersuchung von verschiedenen Bedingungen nötig ist. Diese Tatsache wird von SchülerInnen bei der Lösung solcher Aufgaben oft vernachlässigt. In Rahmen eines Entwicklungsprogramms haben LehrerInnen mit SchülerInnen in einem Gymnasium solche realen Textaufgaben bearbeitet. Wie die Ergebnisse beim Nachtest zeigen, haben die SchülerInnen eine Verbesserung bezüglich des Wahrnehmens der realen Inhalte erreicht. Um einen genaueren Einblick in die

Schülerarbeiten zu erhalten, wurden diese auch mit Hilfe von Lösungsniveaus bewertet. Diese Methode und die so erhaltenen Ergebnisse stehen im Mittelpunkt des Vortrages.

György Emese, Budapest: How Do Students Solve Open, Realistic Problems? An Educational Experiment from the Teacher’s Eyes

An experiment was carried out during the 2018/19 school year to examine students’ problem solving using open, realistic problems. Two Grade 9 and one Grade 11 groups were the experimental groups, about 15 students in a group, and for each experimental group we had a similar control group. All groups belonged to the Xántus J. Bilingual Gymnasium in Budapest. The experiment was part of a longer project of a group of researchers and inservice teachers led by Gabriella Ambrus to examine students’ thinking within the Hungarian Academy of Sciences‘ Subject Pedagogy Research Program. In the talk I will describe this experiment in more detail, briefly talk about our research group’s work before this experiment (that led to this experiment), including a large scale survey of 1346 students from primary school to the end of high school, report on the numerical results of the experiment and our impressions and plans for the future.

Katalin Fried & Éva Vásárhelyi, Budapest: Do storks bring babies? Things we don’t tell children

Textbook authors often face the dilemma that when building up some topics, for some reason or another, some things have to be simplified or even skipped. Moreover, they cannot start topics from scratch, since these are based on the previous knowledge of the children, or, the topic is based on how mathematics is built by tradition. We are going to present some examples when we do not tell (actually, can not tell) the background of a notion, a notation, a definition; and concealing the scope of validity of a thought can lead to a series of mistakes.

Jan Gunčaga, Bratislava: Stoffdidaktik der Mathematik – Hilfsmittel zur Unterstützung von „STEM Education“

Viele Fachleute in der Schulpolitik benutzen immer mehr das Akronym STEM (Science, Technology, Engineering, and Mathematics). „STEM Education“ findet in allen Stufen der Bildung eine immer größere Unterstützung. Praktische Anwendungen von realen Situationen werden häufig im Mathematikunterricht benutzt. Wir werden über unsere Aktivitäten in diesem Bereich sprechen. Zu einigen gibt es bereits Themenhefte der neuen Zeitschrift „Open Educational Studies“ (siehe https://www.degruyter.com/page/1862).

Zsuzsanna Jánvári, Budapest: Results of a pilot research – Teaching descriptive statistics vs developing statistical literacy

Descriptive statistics is being taught in secondary education for 15 years in Hungary. The recent requirements are not high-level: basic calculation of simple characteristics of data sets and low-level exercises on graphs. As the results of the Mathematics school leaving exams present, statistics is a popular and successful topic for Hungarian students. My main interest and focus is on the nature of this knowledge. What kind of competences do these students have? Do they become critical, able to reason and pose questions? Can they compare sets of data? In order to have these questions answered I made a pilot research for the 12th grade students of my school (n=111). This pilot research consists of a worksheet for students (5 exercises) and an attitude test for their teachers (experiences, attitude, own results, opinion about the worksheet). I’d like to share the results of the first summing up of this research.

Marianna Pintér, Budapest: Consequences of early abstraction

I’ve heard many times, „I do not believe in mathematics to pursue activities, math is a normal subject, you have to learn it!“. Unquestionably, mathematics must be learned, but it matters how! Because of the neglect of children’s age-specific characteristics, learning abilities, and

ways of learning, the results of international and domestic measurements are unfavorable. So it’s time to think about what’s behind this. By presenting an experiment on a student who failed in the ninth grade, I would like to convince the audience that it is never too late to use tools in math class to help the understanding.

Johann Sjuts, Osnabrück: Die Bedeutung von Darstellungen beim Aufbau algebraischen und probabilistischen Denkens in ausgewählten deutschsprachigen Büchern von Tamás Varga

Die von Tamás Varga verfassten Bücher zur Schulmathematik galten als ausgesprochen innovativ. Das lag vor allem daran, dass sie neue Gebiete wie Logik, Kombinatorik und Stochastik für den Mathematikunterricht aufbereiteten. Zugleich enthielten sie wohlüberlegte Konzepte zum Aufbau mathematischen Denkens – insbesondere in Form geeigneter Darstellungen. Denken materialisiert sich in Darstellungen, mathematisches Denken in spezifischen Darstellungen. Darstellungen zur Entwicklung mathematischer Begriffe und Werkzeuge tragen wesentlich dazu bei, Wissen zu ordnen und Können zu unterstützen. Eine solche kognitionstheoretische Sicht, die sich in den Werken Vargas durchaus feststellen lässt, betont den Sprach- und Werkzeugcharakter von Schulmathematik. Der Vortrag verdeutlicht, welchen Wert zur Konvention gewordene Darstellungen für den Aufbau probabilistischen und algebraischen Denkens haben.

Zum Programm gehörte weiterhin der Austausch über zurückliegende und zukünftige Arbeitskreis-Aktivitäten und über die Buchreihe „Mathematiklehren und -lernen in Ungarn”.

Arbeitskreis „Mathematiklehren und -lernen in Ungarn“:

Der Arbeitskreis kann seit seiner Gründung 2015 in Basel auf eine Reihe von Treffen verweisen, die regelmäßig zweimal im Jahr stattfinden. Ebenso liegen – daraus entstanden – Veröffentlichungen in einer nennenswerten Anzahl vor. Der Arbeitskreis informiert über seine Aktivitäten auf einer GDM-Homepage (gdm.elte.hu). Er pflegt die Internationalität durch die Beteiligung von Kolleginnen und Kollegen aus mehreren Ländern (vor allem Ungarn, Slowakei, Deutschland, Österreich), er unterstützt die Promotionsvorhaben in Mathematikdidaktik an der Eötvös Loránd Universität und ermöglicht den Promovierenden, regelmäßig an den Herbsttagungen teilzunehmen und Vorträge über ihre Forschungen zu halten.

Das vom Arbeitskreis gewählte Sprecherteam bilden ab jetzt Gabriella Ambrus (Eötvös Loránd Universität Budapest) und Johann Sjuts (Universität Osnabrück).

Wie üblich, ist wieder eine Arbeitskreis-Sitzung auf der GDM-Jahrestagung 2020 in Würzburg geplant.

Vorgesehen ist weiterhin eine gemeinsame Tagung (im Herbst 2020 in Budapest) mit dem Arbeitskreis „Problemlösen“.

Buchreihe „Mathematiklehren und -lernen in Ungarn“:

Nach dem Band 1 Éva Vásárhelyi & Johann Sjuts (Hrsg.): „Auch wenn A falsch ist, kann B wahr sein. Was wir aus Fehlern lernen können. Ervin Deák zu Ehren“ ist nun Band 2 in Vorbereitung. Er soll folgenden Titel tragen: Gabriella Ambrus, Johann Sjuts, Ödön Vancsó, Éva Vásárhelyi (Hrsg.): „Komplexer Mathematikunterricht. Die Ideen von Tamás Varga in aktueller Sicht“

Ausgewählte Beiträge der Hauptveranstaltung „Tamás Varga 100“ und der im Zusammenhang mit ihr organisierten Tagungen sowie möglicherweise weitere Aufsätze bilden den Inhalt. Gedacht ist an Beiträge im Umfang von 10 bis 15 Seiten. Einsendeschluss für die Beiträge soll der 1. Februar 2020 sein. Die Beiträge des Bandes werden mittels eines

von Éva Vásárhelyi und Johann Sjuts organisierten Peer-Review-Verfahrens aufgenommen. Das Format der Beiträge soll wie im Band 1 sein. Und der Vorspann eines jeden Beitrags soll ebenfalls wie im Band 1 sein. Die endgültige Formatierung mit Kopf- und Fußzeile übernimmt das Herausgeberteam, ebenso die Begutachtung und das Lektorat. Eventuell werden dazu weitere Personen einbezogen. Die Verantwortung für Inhalt und Sprache liegt bei den Autorinnen und Autoren.

Schon jetzt sind die Bände 3 und 4 der Buchreihe in Planung. Die Arbeitstitel lauten:

Band 3: „Theoretische und empirische Analysen zum geometrischen Denken“
Band 4: „Mathematische Zeitschriften und Wettbewerbe für Kinder und Jugendliche“

Kommentare deaktiviert für Arbeitskreis „Mathematiklehren und -lernen in Ungarn“

Filed under Tagung

Comments are closed.