Arbeitskreis Mathematiklehren und -lernen in Ungarn

Gabriella Ambrus, Johann Sjuts

Budapest, 21.-22. September 2018

Das zweite Treffen des GDM-Arbeitskreises „Mathematiklehren und -lernen in Ungarn“ im Jahr 2018 fand am 21. und 22. September an der Eötvös Loránd Universität in Budapest statt. Damit war die ungarische Hauptstadt zum vierten Mal Ort der alljährlichen Herbsttagung des im Jahr 2015 (in Basel) gegründeten Arbeitskreises (anfangs AK Ungarn genannt). Die Annehmlichkeiten des Tagungsortes samt Rahmenprogramm wussten die 14 an dieser Veranstaltung teilnehmenden Mitglieder des Arbeitskreises sehr zu schätzen.

Zu Beginn erinnerte Éva Vásárhelyi an den nach langer und schwerer Krankheit am 19. Juli 2018 verstorbenen Kollegen Prof. Dr. Bernd Zimmermann. Sie würdigte seine Leistungen auf den Gebieten Problemlösen in Mathematik, Heuristik, Geschichte der Mathematik, Kreativität und Begabung. Dazu erwähnte sie sein Oktagon der mathematischen Hauptaktivitäten. Besonders hob sie seine Verdienste in der Unterstützung der ungarischen Mathematikdidaktik und in der langjährigen ungarisch-finnisch-deutschen Zusammenarbeit hervor.

Im Mittelpunkt der Arbeitskreistagung standen selbstverständlich die Fachvorträge (nachfolgend die Abstracts).

Freitag, 21. September 2018

Johann Sjuts, Osnabrück: Aufgabenstellungen zur Metakognition in der Schulmathematik

Zentral für die Professionalität von Lehrkräften ist die Kompetenz zur Organisation und Analyse von Lehr-Lern-Prozessen. Von hoher Bedeutung für den Mathematikunterricht sind Aufgaben, die metakognitive Aktivitäten anregen. Diese Aufgaben nehmen Vorausschau, Selbstüberwachung und Rückschau der Lern-, Verstehens- und Denkprozesse als integrale Bestandteile auf. In der Effektstärke liegt Metakognition auf den vorderen Rängen. Die kontinuierliche Überwachung der Wirksamkeit des eigenen Tuns ist eine wesentliche Be-dingung für erfolgreiches Lernen. Es gilt daher, eine lernbegleitende Metakognition durch passende Aufgabenstellungen zur Geltung zu bringen. Der Vortrag zeigt auf exemplarische Weise wie Metakognition in Aufgaben Berücksichtigung finden kann.

Karl Josef Fuchs und Gregor Milicic, Salzburg: Themen der Numerischen Mathematik an Österreichs Höheren Schulen

Ausgangspunkt des Referats ist eine Analyse von Lehrstoffen der Allgemeinbildenden und Berufsbildenden Höheren Schulen Österreichs, die dem Bereich der Numerischen Mathe-matik zuzuordnen sind. Fundamentale Ideen wie jene des Algorithmischen/ Problemorientierten Denkens oder der Approximation/Diskretisierung sind als Strategien beim Lehren dieser Themen von besonderer Bedeutung. Den beiden Teilen Lehrplan/ Lehrstoff bzw. Fundamentale Ideen widmet sich Karl Josef Fuchs, eine Auswahl proto-typischer Beispiele zur Numerik aus den Curricula präsentiert Gregor Milicic.

Ödön Vancsó, Budapest: Eine Problemserie, die zu der Lösung des Problems „Gut zu wetten“ führt

Ödön Vancsó analysiert in seiner Präsentation das Problem der Sportwetten. Als Konklusion aus der Struktur der Lösung wird eine Problemserie konstruiert, die zu dieser Lösung führt. Eine kurze methodisch-didaktische Analyse der Frage schließt den Vortrag ab.

Katalin Fried, Budapest: What makes a problem difficult?

If by looking at a problem we can solve it, we do not call it a problem; it is rather an exercise or an application of techniques. So what makes a problem difficult?

1. We might not know everything we should in order to solve it.

2. We get stuck at a point and do not know how to start or go on.

3. We might have constant uncertainty (factual and/or technical).

4. We are not sure we actually have solved the problem.

We are going through these difficulties through studying a particular problem for high school students.

Ervin Deák, Budapest: Begriffliche Klarstellungen, neue Begriffe und Zusammenhänge im synthetisch-geometrischen Themenkreis „Pythagoreischer Lehrsatz“

In der synthetischen Geometrie ist „der“ Pythagoreische Lehrsatz nicht „ein Satz mit vielen bekannten Beweisen“, sondern eine Gruppe verschiedener Sätze. Für jedes rechtwinklige Dreieck ist das Hypotenusenquadrat „gleich“ der Vereinigung (ohne gemeinsame innere Punkte) der beiden Kathetenquadrate. Für spezielle rechtwinklige Dreiecke (gleichschenklige, solche mit kommensurablen Katheten oder mit drei kommensurablen Seiten) können Verschärfungen der Behauptung des Satzes gelten bzw. gesucht werden. Es könnte z. B. auch die „Auslegungsgleichheit“ – eine Verschärfung der Zerlegungsgleichheit – als selbständiger Begriff (die Möglichkeit, das Hypotenusenquadrat und die beiden Kathetenquadrate mit derselben Anzahl von kongruenten Exemplaren ein und desselben Quadrats auszulegen) betrachtet und behandelt werden. Es wird untersucht, inwieweit der Kathetensatz mit der Auslegungsgleichheit harmonisiert. Im Vorfeld der Maßgeometrie kann die Auslegungsgleichheit auch als eine wichtige weiterführende Idee dienen.

Samstag, 22. September 2018

Stefan Götz, Wien: Die uvw-Sprache in der analytischen Geometrie

Beim Kapitel „Analytische Geometrie“ in der Oberstufe werden oft abstrakte Problem-stellungen ohne weiterführenden Kontext in den Blick genommen. Auf diese Weise kann die eigentliche Kraft der algebraischen Beschreibung von geometrischen Situationen den Schülerinnen und Schülern kaum vermittelt werden. Im Vortrag werden (zum Teil wohl-bekannte) Fragestellungen aus der ebenen Dreiecksgeometrie präsentiert, die die Schülerinnen und Schüler zum (auch eigenständigen) Begründen mit Mitteln der analytischen Geometrie anregen sollen. Eine standardisierte Lage eines allgemeinen Dreiecks im Koordinatensystem erweist sich dabei als fruchtbarer Ausgangspunkt für den Einsatz von Standardmethoden (!) der Analytischen Geometrie im Mathematikunterricht.

Karl Josef Fuchs, Salzburg, und Ján Gunčaga, Bratislava: Computer Algebra Systeme im Mathematikunterricht – Instrumente zur Begriffsbildung sowie einer „Modernisierung“ historischer Materialien

Computer Algebra Systeme wie GeoGebraCAS sowie andere an den Schulen verwendeten Hand Held Systeme wie TI-Nspire oder CasioClassPad II sind nicht nur reine Instrumente zur Visualisierung oder reine Rechenhilfen, sondern können sehr viel zur Bildung zentraler mathematischer Begriffe beitragen. In der Präsentation gehen Karl Josef Fuchs und Ján Gunčaga exemplarisch auf die Idee der Approximation im Zusammenhang mit der Differentialrechnung sowie auf die Möglichkeit des Beweisens und der Analogiebildung im Rahmen einer Veranschaulichung mit CAS ein. Zudem sind historische Lehrbücher (zum Beispiel von Franz Mocnik) reiche Quellen für die Verwendung von CAS. Beispiele dazu werden im zweiten Teil des Vortrags präsentiert.

Gabriella Ambrus, Budapest: Lehramtsstudierende lösen einfache (offene) Textaufgaben, die auf realen Situationen basieren

Es ist schwer, Textaufgaben zu lösen. Beim Lösen von Textaufgaben mit Realitätsbezug be-deuten das Wahrnehmen und die Analyse der realen Situation ein weiteres Problem – nicht nur für SchülerInnen, sondern auch für Lehramtsstudierende –, was anhand mehrerer Überprüfungen belegt wurde. Eine Förderung der zukünftigen Lehrkräfte auf diesem Gebiet soll daher schon während des Studiums geplant werden. Ein Konzept für die Durchführung wird im Rahmen eines Projektes „Komplexer Mathematikunterricht im 21. Jahrhundert“ der Ungarischen Akademie der Wissenschaften erarbeitet. Der Vortrag beschäftigt sich mit neuen und aktuellen Ergebnissen dieses Forschungsprogramms.

Die ausführlichen Fassungen der Beiträge werden wie gewohnt in einem Tagungsband (Ed. Éva Vásárhelyi) erscheinen.

Ein intensiver Informationsaustausch rundete die Tagung ab. Dabei kamen mehrere Themen-bereiche zur Sprache: Die Anzahl der Promotionen in Mathematikdidaktik an ungarischen Universitäten entwickelt sich erfreulich. – Von der länderübergreifenden Zusammenarbeit (Ungarn, Österreich, Schweiz, Deutschland, Slowakei, Tschechien, Polen, Slowenien, Kroatien) gehen wirksame Impulse aus (Einsatz digitaler Medien und Werkzeuge im Unterricht, Abschlussleistungen in der Schule, Bedeutung von Schulbüchern, Fragestellungen und Methoden in der mathematikdidaktischen Forschung, Formate forschenden Lernens im Lehramtsstudium). – Der Arbeitskreis plant gemeinsame Vorhaben zur Verbreitung metakognitiver Aktivitäten beim Mathematiklernen in der Schule (entsprechend den bereits auf der GDM-Jahrestagung 2018 in Paderborn besprochenen Zielsetzungen) und zur Dokumentation und Analyse von Unterrichtsszenen (nach einem Kategoriensystem). Bereits vorliegende Arbeiten werden zusammengestellt und im Arbeitskreis verfügbar gemacht. – Vorgesehen sind ebenso gemeinsame Publikationen.

Mit ausdrücklichem Dank für ihren Einsatz wird Gabriella Ambrus als Sprecherin des Arbeitskreises bestätigt.

Die nächste Sitzung findet im März 2019 auf der GDM-Jahrestagung in Regensburg statt.

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